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Transformiert die Künstliche Intelligenz die Erwachsenenbildung?

Lernen im Wandel – Erwachsenenbildung in der KI-Ära
Moderne KI-Systeme werden zunehmend kontextsensitiv – das heißt, sie erkennen den Zusammenhang einer Anfrage, berücksichtigen den bisherigen Gesprächsverlauf und passen ihre Antworten an Zielgruppen, Fachsprachen oder Anwendungsbereiche an. In der Praxis der Erwachsenenbildung zeigt sich das zum Beispiel, wenn Teilnehmende KI-Tools nutzen, um berufsspezifische Texte zu erstellen – etwa ein Beratungsschreiben im sozialen Bereich oder eine Zusammenfassung von Fachartikeln in einfacher Sprache. Auch in Sprachkursen können KI-gestützte Übersetzungshilfen mittlerweile zwischen formeller und informeller Sprache unterscheiden oder kulturspezifische Kontexte erkennen. Lehrende können diese Systeme nutzen, um Aufgaben zu individualisieren, Texte an das Sprachniveau der Lernenden anzupassen oder unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema zu eröffnen – jeweils im Hinblick auf Zielgruppe, Lernziel und Anwendungssituation.

Dass reiner Frontalunterricht in der Erwachsenenbildung ausgedient hat, ist keine neue Erkenntnis – doch die Herausforderungen und Anforderungen wachsen weiter. In einer Welt, in der Informationen jederzeit abrufbar und durch kontextsensitive KI sofort verwertbar sind, reicht es nicht mehr, nur Wissen weiterzugeben. Lernende erwarten praxisnahe, dynamische Lernsettings, in denen sie KI nicht nur als Werkzeug kennenlernen, sondern auch kritisch reflektieren können: Welche Informationen sind vertrauenswürdig? Wie verändert KI meinen Arbeitsalltag? Wann hilft sie mir – und wann schränkt sie mich ein? Lehrende übernehmen hier eine neue Rolle: Sie strukturieren Lernprozesse, fördern den Austausch und begleiten dabei, eigene Positionen im Umgang mit KI zu entwickeln. Formate wie problembasiertes Lernen, simulationsgestützte Szenarien oder kollaborative Projektarbeit bieten Raum für genau diese Auseinandersetzung – und stärken zugleich zentrale Zukunftskompetenzen.

Schambefreit und selbstbestimmt lernen
Wir kennen es alle: Kaum jemand gibt gern zu, etwas nicht zu wissen – schon gar nicht im Erwachsenenalter. Ob es um digitale Grundkompetenzen, Sprache oder fachliche Lücken geht – viele scheuen sich, Hilfe zu suchen, aus Angst, sich zu blamieren oder nicht ernst genommen zu werden. Genau hier können KI-gestützte Tools unterstützen: Sie bieten einen geschützten Raum, in dem man Fragen stellen und Dinge ausprobieren kann, ohne bewertet zu werden. Ein KI-Chatbot wird nicht ungeduldig, lacht nicht über Fehler und ist immer verfügbar. So entsteht ein selbstbestimmter Lernprozess, bei dem Menschen in ihrem eigenen Tempo und ohne Druck dazulernen können – oft viel mutiger und offener, als es in klassischen Lernsituationen möglich wäre.

Individuell, jederzeit und im eigenen Tempo
Die größte Stärke KI-gestützter Lernangebote liegt in ihrer Kombination aus Zugänglichkeit und Anpassungsfähigkeit. Sie stehen rund um die Uhr zur Verfügung, funktionieren ohne formale Hürden und passen sich an das jeweilige Sprachniveau, Vorwissen und Lernziel an. Besonders niedrigschwellig sind dialogbasierte Systeme wie Chatbots oder Sprachassistenten, mit denen Lernende ganz einfach ins Gespräch kommen können – auch ohne technisches Know-how. Dieser dialogische Zugang senkt nicht nur die Einstiegshürde, sondern ermöglicht es vielen Menschen, deutlich tiefer in ein Thema einzusteigen, als sie es sich ursprünglich zugetraut hätten. Die KI stellt Rückfragen, gibt passende Beispiele oder schlägt weiterführende Inhalte vor – immer abgestimmt auf das, was gerade gebraucht wird. So entsteht ein Lernprozess, der nicht nur flexibel, sondern auch überraschend individuell ist.

Informell, unaufdringlich, wirkungsvoll: Lernen im Alltag
Viele Menschen, die heute KI-Tools nutzen, würden sich selbst nicht als Lernende bezeichnen – und doch eignen sie sich täglich neues Wissen an. Wenn jemand einen KI-Assistenten bittet, einen Vertrag zu erklären, eine neue Softwarefunktion verständlich zu machen oder einen beruflichen Text zu überarbeiten, ist das Lernen im besten Sinne: selbstgesteuert, praxisnah und unmittelbar relevant. Es passiert informell, außerhalb klassischer Bildungsangebote – und oft ganz beiläufig.

Rolle der Institutionen: Chancen und Grenzen

Die Erwachsenenbildung bewegt sich in einem Spannungsfeld: Einerseits eröffnen KI-Systeme neue Möglichkeiten für individualisiertes und flexibles Lernen, andererseits stoßen Bildungseinrichtungen an ganz praktische Grenzen. Viele Lehrende arbeiten ehrenamtlich oder auf Honorarbasis – von ihnen kann man nicht erwarten, gleichzeitig digitale Vorreiter und technische Expert:innen zu sein. Auch Skalierbarkeit durch automatisierte Lernpfade oder personalisierte Empfehlungen klingt verlockend, bringt aber Fragen nach Datenschutz und zusätzlichem Aufwand bei der Kurserstellung mit sich. Entscheidend ist daher, welche Unterstützung Institutionen bereitstellen und wie sich KI so integrieren lässt, dass sie Lehrende entlastet statt überfordert.

Was heute schon realistisch ist

Konkret nutzbar sind KI-Funktionen, die ohne großen Mehraufwand in bestehende Lernplattformen integriert werden. Abhängig nur noch vom Kostenfaktor, nicht von der technischen Machbarkeit wäre so z.B. einfach umsetzbar:

  • Automatisierte Antworten auf Freitextfragen, die den Teilnehmenden eine erste Orientierung geben.
  • Empfehlungen zum individuellen Lernfortschritt, zum Beispiel der Hinweis, bestimmte Lektionen noch einmal zu wiederholen oder Zusatzmaterialien zu nutzen.

Solche Funktionen sind für Lehrende handhabbar, weil sie sich unauffällig in die gewohnten Abläufe einfügen. Sie schaffen Mehrwert ohne zusätzlichen Vorbereitungsaufwand – ein entscheidendes Kriterium in einer Bildungslandschaft, die auf knappen Ressourcen basiert.

Lernen in einer Welt unbegrenzter Informationen

Da Wissen jederzeit online verfügbar ist, verlagert sich die Aufgabe von Institutionen: Nicht die reine Wissensvermittlung steht im Vordergrund, sondern die Gestaltung wirksamer Lernprozesse. Lernende brauchen Struktur und Orientierung – nicht, weil sie die Information selbst nicht finden könnten, sondern weil sie sonst Gefahr laufen, sich im Überangebot zu verlieren. Hier können Institutionen durch klare Lernsequenzen und eine sorgfältige Auswahl an Materialien einen entscheidenden Beitrag leisten.

Und die Grenze zwischen „Teilnehmenden in einem Kurs“ und „anderen Interessierten“ verschwimmt, wenn es für die Teilnehmenden wichtiger ist ein Problem zu lösen, als „einen Kurs zu besuchen“. Institutionen müssen deshalb überlegen, wie sie diese informellen Lernprozesse sichtbar machen und begleiten können. Anerkennungssysteme wie Micro-Credentials oder digitale Badges könnten hier ein Weg sein, um Lernfortschritte zu dokumentieren, auch wenn sie außerhalb klassischer Lehr-Lern-Szenarien entstehen.

Am sichtbarsten wirkt KI heute dort, wo Menschen sie selbstbestimmt einsetzen – im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Freizeit. Für die Erwachsenenbildung bedeutet das: Sie steht vor der Herausforderung, diese informellen Lernprozesse aufzugreifen, sichtbar zu machen und gegebenenfalls in formale Angebote einzubinden. Denn dort, wo Lernen nicht als Pflicht erlebt wird, sondern aus eigenem Antrieb geschieht, entstehen oft die nachhaltigsten Bildungsimpulse.

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